Bärlinale 🐻

Bärlinale 🐻

Liebe Gäst:innen des Roten Salons,

liebe Spazierende und Flanierende, Passierende und Pausierende, liebe Jüngere Frauen in Städten! Heute gibt es heiße Milch mit Honig und 60er Jahre Rock’n’Roll Musik, zum aneinander und am Tresen festhalten, in diesen stürmischen und abgründigen Zeiten.

Um Sie auf andere Gedanken zu bringen, berichte ich Ihnen von positiveren Hauptstadt News als den Wahlergebnissen: Die 75. Berlinale (nicht zu verwechseln mit der Breminale) ist vorbei und es wurden einige Filme gesehen! Damit Sie auf dem Laufenden sind, was Sie demnächst so in Ihrem Lieblingskino sehen oder vermissen werden, habe ich ungefähr 100 Filme für Sie rezensiert. Viel Spaß beim großen Bärlinale Review des Roten Salons!



Bewertungssystem: 🌹 – 🌹🌹🌹🌹🌹
🌹 = 😦
🌹🌹 = :/
🌹🌹🌹 = 🙂
🌹🌹🌹🌹 = :))
🌹🌹🌹🌹🌹 = :)))

Das Licht + Hot Milk

Tom Tykwer hat mit Das Licht einen sehr langen, komplizierten und überladenen Film geschrieben und inszeniert, der ganz viel will und sich darin völlig verheddert: Parodie zeitgemäßer Probleme, schnelle Lösungen, problematische Rettungsnarrative und ein ständig nackter Lars Eidinger. Mit viel Wasser und weißem Licht wird eine traumatische Fluchtgeschichte weiß gewaschen. 🌹
Hot Milk ist ja ein grandioses Buch von Deborah Levy: Hot, komplex, poetisch. Die Verfilmung von Regisseurin Rebecca Lenkiewicz ist leider ziemlich oberflächlich, umständlich und langweilig. Die Oberfläche ist dabei sehr schön anzusehen: Emma Mackey und Fiona Shaw spielen Mutter und Tochter, die an der griechischen Küste nach Heilung für die erkrankte Mutter suchen. Ihr Verhältnis ist angespannt. Tochter Sofia hängt viel am Strand herum, trägt gut sitzendende Kostüme und sieht schön aus. Vicky Krieps als Ingrid aus Deutschland reitet auf einem weißen Schimmel auf sie zu und es findet eine Art Liebesbeziehung zwischen den beiden Frauen statt. Dazu werden subtil diverse Traumata angesprochen. Alle aufgenommen Fäden verlaufen sich jedoch wieder im Sand. Inhaltlich bietet der Film leider kein Äquivalent oder eine Ergänzung zu Levis Roman. 🌹
Beide Filme versuchen sich klug mit Traumata auseinanderzusetzen und viele Themen in künstlerischer Verhandlung miteinander zu verbinden, was leider nicht gelingt.

Like A Complete Unknown

„Like A Complete Unknown“ verkleidet, schlendert Thimothée Chalamet in der Kulisse von Szenenbildner François Audouy durch das New York City der 60er Jahre. Er ist auf der Suche nach Gigs, und greift nach jedem Mikrofonständer, den er kriegen kann. Dann verstellt er seine Stimme und drückt die Stimmbänder zusammen, während er „Hey Mr. Tambourine“ singt. Zum Glück gewöhnt man sich an die Inszenierung und taucht ein, in eine erneute Verkörperung Dylans mit dem Fokus auf dem Beginn seiner Karriere vom Folk zum Rock Musiker.
Begleitet wird der Protagonist dabei von der Musikerin Joan Baez (Monica Barbaro) und seiner Freundin Sylvie Russo (Elle Fanning). Am besten haben mir die Einstellungen auf die Gesichter der Frauen gefallen, in deren Blicken sich eindrücklich Dylans Verhalten spiegelt.
Obwohl Chalamet und Fanning ihre Rollen präzise und gut spielen, hätte eine weniger bekannte Besetzung dem Film und seiner Glaubhaftigkeit auch gut getan. 🌹🌹🌹

Mickey 17 + Honey Bunch

Mickey 17 ist ein sehr sweetes Science-Fiction-Märchen mit Robert Pattinson in der Hauptrolle. Es geht darin um die technischen und ethischen Grenzen der menschlichen Spezies, um Kapitalismuskritik und Gut gegen Böse. Die Geschichte ist konsequent und spannend erzählt und umgesetzt. 🌹🌹🌹
Honey Bunch ist ein sweeter Retro-Horrorfilm zwischen Geistergeschichte und Gaslight-Psychothriller, der klassischer Weise in einer Art Heilanstalt spielt. Darin geht es um eine Liebesbeziehung, körperliches Vermögen und dessen Grenzen, sowie die Grenzen im Kopf, zwischen Vorstellung und Realität. 🌹🌹🌹
In beiden Filmen wird mit dem Klonen, beziehungsweise der Multiplikation von Menschen gespielt. Die unterschiedlichen Versionen der gleichen Charaktere bieten jeweils einen spannenden Twist in der Erzählung und verhandeln spielerisch Fragen des Menschseins, nach Beziehungen und technischem Fortschritt.

Reflet dans un diamant mort (Reflection in a Dead Diamond) + Tour de Glace (The Ice Tower)

Faszination Mineralien und Gesteine: In diesen beiden Filmen spielen Kristalle und Diamanten eine Rolle.
Reflet dans un diamant mort ist Eurospy der 1960er Jahre an der Côte d’Azur mit San Bitter, gleißender Sonne, messerscharfen Fingernägeln und einem tödlichen Kleid. Es gibt spektakuläre Überblendungen, eine gesuchte Agentin mit sich veränderndem Gesicht und immer wieder funkelnde Diamanten… 🌹🌹🌹
Tour de Glace ist der Traum der 16 Jährigen Bianca (Clara Pacini) in den 70er Jahren, die auf einem schneebedeckten Abhang ausrutscht und liegen bleibt. Sie träumt einen fiebrigen Traum von der Schneekönigin (Marion Cotillard) und einem Filmset, an dem sie schließlich an der Seite der Schneekönigin eine entscheidende Rolle spielt. Eine große Rolle spielen auch Perlen und ein Kristall, die behütet, behalten und ausgetauscht werden. 🌹🌹🌹

Xiang fei de nv hai (Girls on Wire) + The Thing with Feathers

Xiang fei de nv hai ist eine Mischung aus Martial-Arts, Familiendrama und Thriller, in dem die beiden Cousinen Tian Tian und Fang Di von der chinesischen Mafia verfolgt werden. Nicht nur auf dem Unterarm von Tian Tian ist eine große Krähe gestochen, das Tier begegnet den Cousinen als treue Begleiterin immer wieder. 🌹🌹
The Thing with Feathers ist eine menschengroße Krähe, die im Gegensatz dazu bedrohlich und böse ist. Sie entspringt den Zeichnungen eines Familienvaters, gespielt von Benedict Cumberbatch, dessen Frau und die Mutter der gemeinsamen Kinder, tragisch verstirbt. In seiner Trauer und Überforderung verliert der Vater sich in seinen Krähen-Zeichnungen, die schließlich in ihm aber auch als menschengroße Figur lebendig werden. Die Krähe ist die Trauer, der Tod, der Verlust, der Schweinehund. Regisseur Dylan Southern greift immer wieder zu Horror-Elementen, die den Horror eines schrecklichen Verlusts und der Unfähigkeit zu Trauern verdeutlichen. 🌹🌹

Dreams + Islands

„Dreams“ von einer gemeinsamen Zukunft als Liebespaar, trotz Widrigkeiten wie sozialen Schichtsystemen und Asyl, haben der mexikanische Balletttänzer Fernando und die wohlhabende us-amerikanische Society-Erbin Jennifer. Werden ihre „Dreams“ sich erfüllen oder an den Hürden scheitern? Ein böser Film der gut gemacht ist. 🌹🌹🌹
„Islands“ sind die Orte, auf denen Tourist:innen eine ausgelassene Zeit verbringen, bevor sie zurück in die Realität fahren. Es sind auch die Orte, auf denen die Menschen zurückbleiben, die im Tourismus arbeiten. Die dann die Betten hochklappen und den Strand absperren und mit ihren Gäst:innen zu viel Alkohol trinken. So einer ist Tom (Sam Riley) der Tennistrainer. Er ist attraktiv, seine Haare stehen salzig um sein sonnenverbranntes Gesicht herum und er entertaint die Besuchenden. Dann kommt eine Familie, die es ihm angetan hat. Warum, bleibt bis zum Abspann des Films unklar. Tom unterrichtet den Familiensohn im Tennis und flirtet mit dessen Mutter und dann kommt noch ein Bisschen Noir in den Holliday Movie auf Fuerteventura. Eine dunkle Geschichte, die nicht so gut erzählt ist.🌹

Kontinental ’25

In der sehr gelungenen rumänischen Gesellschaftssatire von Radu Jude geht um die Räumung eines Kellers, in dem ein Mann illegal lebt. Als Reaktion auf seinen Rausschmiss nimmt dieser sich das Leben. Vollstreckt wurde die Räumung von der Gerichtsvollzieherin Orsolya (Eszter Tompa). Diese ist schockiert vom Suizid des Mannes und fühlt sich sehr schuldig, worüber sie in den folgenden Szenen immer wieder berichtet. Der Fokus der Geschichte rückt dadurch immer weiter fort von dem Verstorbenen und hin zu Orsolya und ihrer Suche nach Entlastung, Vergebung und Mitleid.
Kontinental ’25 wurde in nur 10 Tagen mit einem iPhone und ohne künstliches Licht gefilmt und ist eine satirische Darstellung der Opfer-Inszenierung einer wirkmächtigen Person. Sie ist unangenehm zu beobachten und verhandelt somit auf kluge Weise ein wichtiges realpolitisches Problem. 🌹🌹🌹🌹

El mensaje (The Message)

El mensaje ist eins meiner Bärlinale Highlights. Der schwarz-weiße argentinische Film von Regisseur Iván Fund handelt von Anika (Anika Bootz), die mit ihren Pflegeeltern in einem Wohnmobil lebt. Anika hat die besondere Gabe, mit Tieren zu kommunizieren. Aus Gabe wird schnell Business: Anika übersetzt für Geld zwischen Haustieren und deren Besitzer:innen. Wer nicht vor Ort sein kann, schickt einfach ein Foto oder Video vom Tier, so kann Anika per Telefon oder Sprachnachricht übersetzen.
Mit dem Soundtrack von den Pet Shop Boys mit „Always on My Mind“ erzählt El mensaje eine sehr lustige und schöne Familiengeschichte. 🌹🌹🌹🌹🌹

Mother Horror
Mother’s Baby + If I Had Legs I’d Kick You

Dank Tricia Tuttle wurde das Thema Mutterschaft als traumatische Erfahrung in den Fokus dieser Berlinale gerück!
Die beiden Filme Mother’s Baby und If I Had Legs I’d Kick You nehmen verzweifelte Mütter in den Blick, denen keine:r zuhört und die unter ihrer Last erdrückt werden. Sehr passend wird in beiden Filmen das Horror-Genre eingesetzt, um den Horror auch für die Audienz erlebbar zu machen.
Mother’s Baby von Johanna Moder wirkt zunächst wie ein Drama mit Postpartaler Psychose1 in der Hauptrolle. Ein gesellschaftlich so ungern beleuchtetes Thema, ein mit Schuld und Einsamkeit behafteter Albtraum für die Betroffenen. Deshalb umso wichtiger auf der Kinoleinwand! Leider verheddert der Film sich jedoch im Horror und handelt zunehmend mehr von einem seltsamen Arzt und dessen Kinderwunschzentrum, als von der eigentlichen Protagonistin. Ihre Verzweiflung hat einen externen Grund und kann aufgelöst werden. Ein Horror-Märchen, das sein Potenzial einer gesellschaftlich relevanten Geschichte leider verschenkt hat. 🌹🌹
Im Gegensatz dazu grandios umgesetzt: If I Had Legs I’d Kick You! Ein Bärlinale Sternchen. Der Kampf der Protagonistin, toll verkörpert durch Rose Byrne, ist so kraftvoll und spürbar, dass er ein sehr eindrückliches Kinoerlebnis erzeugt. In diesem Film kämpft eine Frau um Sichtbarkeit, Gehör und immer wieder gegen ihre eigenen Grenzen an, während sie von außen ständiger Bewertung und Erwartung ausgesetzt ist. Der Film ist interessant aufgebaut und mündet in einem Finale, in dem zwei Naturgewalten gegeneinander kämpfen. Unbedingte Sehempfehlung! 🌹🌹🌹🌹🌹

La cache (The Safe House) + Sheng xi zhi di (Living the Land)

Politische und ökonomische Umbrüche in China und Frankreich, erzählt durch zwei Familien mit deren Kindern in den Hauptrollen. Beide Filme sind sehr eindrücklich, ästhetisch dabei sehr unterschiedlich. La cache von Regisseur Lionel Baier ist durch einen hyper artifiziellen Look geprägt, der an Die fabelhafte Welt der Amelie erinnert 🌹🌹🌹, während Sheng xi zhi di von Regisseur Huo Meng einen beinahe dokumentarischen Blick vorgibt 🌹🌹🌹.
Beide Filme haben mir gut gefallen.

Strichka chasu (Timestamp)

Drei Jahre nach Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine, ermöglicht die Dokumentation Strichka chasu Einblicke in ein Leben im Ausnahmezustand. Er fokussiert dabei das Bildungswesen. Was spielt der Krieg inhaltlich im Unterricht für eine Rolle? Wie wird Kindern und Jugendlichen Mut zugesprochen? Unter welchen Bedingungen ist Unterricht noch möglich?
Ohne Interviews oder Voiceover zeigt Kateryna Gornostai sehr eindrücklich eine Generation, die mit einem furchtbaren Krieg leben muss. Ein sehr mutiger, berührender und wichtiger Film! 🌹🌹🌹🌹🌹

Drømmer (Dreams (Sex Love))+ Geu jayeoni nege mworago hani (What Does that Nature Say to You)

Sprache und Dichtung: beide Filme sind sehr Sprachbasiert.
In dem koreanischen Film von Regisseur Hong Sangsoo geht es um einen Dichter, der zum ersten Mal zu Besuch bei seinen Schwiegereltern ist. Eine stets brisante Situation, die auch hier ihrem Potential gerecht wird. Inszeniert ist der 108 Minütige Film wie eine lyrische Setzung. Es wird hauptsächlich gegessen, getrunken und Dialoge gehalten, alles in absichtlich schlechter Auflösung. In meinem Empfinden zieht der Film sich sehr in die Länge, er hätte mich als Kurzfilm mehr überzeugt. 🌹🌹
Drømmer ist ein norwegischer Film von Dag Johan Haugerud über die 17 jährige Johanne (Ella Øverbye), die sich in ihre Lehrerin (Selome Emnetu) verknallt. Während Johanne die Nähe zu ihrer Lehrerin sucht, steigert sie sich in ihrer Fantasie und ihrem Tagebuch in Szenen feuriger Liebe und abgründigen Schmerzes hinein, die als Voiceover den Film begleiten. Eine anrührende und humorvolle Geschichte, die meiner Meinung nach jedoch nicht den Golden Bären gewinnen musste. 🌹🌹

Ari von Léonor Serraille

Ein schöner französischer Film über Geltungsdruck und Versagensängste junger Erwachsener, genauer gesagt über Ari (Andranic Manet), einen 27 jährigen Lehramtsreferendar. 🌹🌹🌹

Pa-gwa (The Old Woman with the Knife) von Min Kyu-dong

Ein brutaler Film über die Auftragskillerin Hornclaw in ihren 60ern. Eine bestimmt spannende koreanische Geschichte, die für meinen Geschmack leider zu blutig und brutal gestartet ist, sodass ich den Film zwei Mal nicht bis zum Ende geschaut habe.. Bildet euch selbst eine Meinung!


(Sagen Sie eigentlich Berlinale, Bärlinale oder Berlihale?)

Viel Spaß im Kino, You are Always on My Mind,
Xoxo, Gerti von Binge


  1. Die Postpartale Psychose oder auch Wochenbettpsychose gilt als die schwerste Form der postpartalen Krise. Sie tritt deutlich seltener auf als die Postpartale Depression und kommt bei einer bis drei von 1000 Müttern vor. Eine Postpartale Psychose tritt sehr plötzlich, innerhalb der ersten drei Tage bis ca. vier Wochen nach der Geburt auf. 
    Es handelt sich um eine sehr ernsthafte und gefährliche Erkrankung. Zum Schutz von Mutter und Kind ist es ausgesprochen wichtig, dass die Mutter nicht mit dem Baby alleine gelassen wird und umgehend ärztliche Betreuung erhält. ↩︎

Eine Antwort zu „Bärlinale 🐻”.

  1. Avatar von witchhonestly21b2d8ccc5
    witchhonestly21b2d8ccc5

    🌹🌹🌹🌹🌹

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