Oma

Oma

Das Leben meiner Oma.
Das Leben meiner Oma ist gleichzeitig mein Herkommen und Leben, aus einer anderen Zeit und aus Lebensumständen, die ich nicht verstehe, weil ich zu klein dafür war, dass du sie mir erklärst. Obwohl du so ein anderes Leben geführt hast als ich, ist es doch deinetwegen, das Mama ihr Leben auf ihre, und wir unseres nun auf unsere Art leben.
Ich bereue dass ich dich nur als Kind kennenlernen konnte. Dass ich nie wirklich mit dir sprechen konnte, über dich. Über deine Wünsche und Träume und Traurigkeit. Fragmentarisch hast du mir Einblicke in dein Leben, in anekdotischen Erzählungen erlaubt, die jetzt zu Erinnerungen von mir an dich geworden sind.
Ich weiß, dass du am liebsten Käsesahnetorte aßt. Wie du uns erklärt hast, dass man möglichst am Tag wenig Nahrung zu sich nehmen sollte, dann könne man sich am Nachmittag ruhig ein schönes Stück Käsesahnetorte gönnen.
Dass du die Käsesahnetorte in einer der großen Tiefkühltruhen im Keller gelagert hast, zwischen den anderen Vorräten. Wegen früher, im Krieg, „da hatten wir nichts“. Was für ein Krieg das gewesen war, darüber hast du mir nichts erzählt. Auch nicht darüber, wie das gewesen ist, nichts zu haben. Wenn ich zu Besuch kam, dann sind wir ins Tiergehege gefahren, zum Tiere füttern und wir sind ins Einkaufszentrum gefahren. Und wir haben Fleisch mit Rosinen und dazu Spätzle mit brauner Soße gegessen, zum Nachtisch Obst aus der Dose. Ich kann mich gut an die großen Gärten erinnern. Einer Vor, und einer hinterm Haus. Gesäumt von großen Rhododendren, auf die du bestimmt stolz warst. An den grünen Rasen. An den Geruch des Hauses und das Schlafsofa, auf dem ich schlief, wenn ich zu Besuch war, in dem Zimmer, was deinem und Opas Schlafzimmer gegenüber auf der anderen Seite des Flures lag. Wie du mich einmal geweckt hast, als ich bei euch übernachtet habe, nur um mich zu fragen ob ich schlafen könne, um dann wieder rüber ins Schlafzimmer zu gehen. Wie wir jahrelang in den Herbstferien zusammen in den Alpen waren, zum Wandern und im Hotel Buffet und Schnitzel essen. Wie es dir unangenehm war, wie laut und ungehemmt ich war und Mama mich vor dir verteidigt hat.
An deine große, dicke Brille, an deren Gläsern Reste der Käsesahnetorte klebten, worüber wir uns totgelacht haben.
Wie euer Flur zur Galerie von Fotos und Plakaten meines Onkels, Mamas Bruder, wurde, weil er Schauspieler ist. Wie nur ein kleines Bild von Mama im Flur hing. Dass du eigentlich selbst Schauspielerin warst, deinem Beruf aber nicht nachgehen durftest, weil Opa es verboten hat. Wie du Mama gesagt hast, sie sei dir die Liebste. Wie es zu Weihnachten Toffifee gab. Wie ich frühpubertär bei euch zu Besuch war und nur Walkman hören und Zeitschriften lesen wollte und meine Schwestern mich gefragt haben, ob ich denn gar nicht froh sei, bei Oma und Opa zu sein.
Wie Papa und ich ins Krankenhaus gefahren sind, um dich zu besuchen, einige Wochen bevor du verstarbst. Wie Mama bei dir auf dem Bett gelegen hat, sich um dich gekümmert hat, als seist du ein Kind. Wie lieb sie dich hatte. Wie sie dich gestreichelt hat, deine Haare gekämmt, dir Lippenstift aufgetragen hat.
Wie du beim nächsten Besuch mit geschlossenen Augen und eingefallenem Gesicht dalagst. Wie ich dich begrüßt und angefasst habe, und du ein Geräusch aus Freude und Überraschung gemacht hat. Da habe ich dich das letzte Mal gesehen und das Geräusch habe ich immer noch im Ohr. Wie traurig Mama war, als du verstorben bis.
Ach Oma, wie gut dass du meine Jugend nicht mitbekommen musstest. Wo Mama und ich uns nicht verstanden haben, wie Mama darunter gelitten hat. Wie gut, dass du das nicht miterleben musstest, wie deine Tochter unter meiner Jugend leiden musste.
Aber ach Oma, wie gerne würde ich dich jetzt mal einladen, mich zu besuchen! Ich würde eine Käsesahnetorte kaufen, wir würden Tee trinken und zum Wildpark spazieren, die Tiere anschauen. Und ich würde dir die Universität zeigen, an der ich studiere und du wärst bestimmt stolz. Und vielleicht könntest du mir von dir erzählen. Von deiner Kindheit und diesem Krieg, von deiner Jugend und deiner großen Liebe, dem französischen Künstler (wenn ich mich richtig erinnere..), mit dem deine Eltern dir verboten haben zusammen zu sein, und du dann über eine Zeitungsanzeige meinen Opa, den konservativen Ingenieur gefunden und geheiratet hast. Wie es für dich war, nicht deinem (Traum)beruf nachgehen zu dürfen und stattdessen für meinen Opa zu kochen. Schwanger zu werden. Warst du einsam? Hattest du gute Freundinnen? Ich glaube, du hast bestimmt gute Freundinnen gehabt. Wie es war, als du Mama bekamst. Ein kleines Kind hattest. Bist du einsam gewesen? Überfordert? Glücklich? Wie es für dich war, als Mama und ihr Bruder das Haus verlassen haben und du wieder mit Opa alleine warst. Wie war es für dich war als Opa den Schlaganfall hatte, der ihn sanftmütig und rührselig gemacht hat. Welche Geschichten haben sich in deinen Körper eingeschrieben, hast du mit dir herum getragen? Welche Wunden sind schnell verheilt und welche gar nicht? Ich weiß, dass es dir Freude gemacht hat zu singen. Vielleicht habe ich das von dir geerbt, ich sing ja auch so gerne.
Neulich haben wir diese ganzen Fotos von dir angeschaut. Auf denen du strahlst und selbstbewusst aussiehst. Die haben mich so gerührt. Auf den Fotos zeigst du dich so, wie du gerne gesehen werden möchtest, glaube ich. Seitdem schaue ich mir oft die Fotos an, habe einige eingerahmt.


2 Antworten zu „Oma”.

  1. Avatar von Andrea Barckhausen
    Andrea Barckhausen

    Ich bin sehr berührt, in meiner Rolle als Enkelin und auch als Oma. Danke für diesen tollen Text!

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  2. Greta…das macht Spaß in die Oma Welt abzutauchen….mit deinen Worten!!

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