Wochenendurlaub

Wochenendurlaub

Liebe Gäst*innen des Roten Salons,

wann waren Sie das letzte Mal übers Wochenende im Urlaub? Freitag Abend los, Sonntag Abend zurück, sodass die Kolleg*innen, bis auf eine verdächtige Gelassenheit, gar nichts von Ihrer Abwesenheit mitbekommen haben? Wahrscheinlich ist es schon wieder viel zu lange her, deswegen rate ich Ihnen dazu, diese Woche zu nutzen um den nächsten Wochenendtrip zu planen. Sie könnten zum Beispiel (je nachdem wo Sie wohnen) aufs Land in Brandenburg fahren, so wie ich letztes Wochenende. Als kleines Amuse-Bouche1 auf ihren also anstehenden Trip, werde ich Ihnen von meinem letzten Wochenende berichten.

Die abenteuerliche Reise nach Neukarlshof in Brandenburg.
Freitag Nachmittag: Treffpunkt Leipzig Hbf. Gleich geht die Reise los, zunächst mit dem Flixtrain nach Berlin. Vor dem Gleis treffe ich Giaco, die war noch im Freibad, ich eher müde. Ich kaufe mir urlaubsmäßig einen Capuccino um in Stimmung zu kommen und wir warten auf unseren Zug, der, auch urlaubsmäßig, 90 Minuten nach terminierter Ankunft in den Bahnhof rollt. Der Flixtrain hat keine Klimaanlage, wir verschmilzen mediteran mit unseren Sitzen und den Körperflüssigkeiten und -gerüchen der anderen Fahrgäst*innen.

Berlin Südkreuz. Erleichtert atmen wir die angenehme Bahnhofsluft ein; Sie riecht nach Urlaub. Während der nächsten 40 Minuten besichtigen wir Berlin durch die Fensterscheibe der Ringbahn. Dann sind wir am vereinbarten Treffpunkt. Lea wartet schon mit ihrem Bus und wir fahren los, ab in die Wildnis. Nach ca einer Stunde treffen wir auf einen kleinen See im Wald und gehen urlaubsmäßig bei Mondschein Baden. Dann erreichen wir Neukarlshof; unser neues Zuhause, inmitten der Natur.

Wie bei einer mehrtätigen Wanderung durch die Natur, haben wir kistenweise Proviant dabei, den wir in unser Ferienhaus schleppen. Der Schlüssel liegt an einem geheimen Ort, den ich hier nicht verraten kann. Wir trinken warme Weinschorle und rauchen Zigaretten und erkunden den Garten. Es ist stockfinster und wir sehen weder einander, noch den Garten. Irgendwann verlaufen wir uns in einen großen Stapel Holz, wir fühlen uns abenteuerlich und naturverbunden. Um uns herum raschelt es, das müssen die Tiere sein, mit denen wir hier gemeinsam Leben. An meinen Füßen spüre ich eine matschige Konsistenz; vermutlich eine Nacktschnecke oder ein zermatschter Pfirsisch, wie schön. Zurück im Haus feiern wir mit Aprikosenkuchen, Sprühsahne und Sekt und Hildegard Knef in Leas Geburstag rein.

Am nächsten Morgen sind wir richtig angekommen. Unser renaturalisierter Körper weckt uns quasi kurz nach Tagesanbruch, um 09:30h. Es kräht zwar kein Hahn aber das hätte auch passieren können. Wir bereiten Kaffee und Zigaretten vor und ziehen wieder los, in den wilden Garten. Diesmal können wir ihn sogar sehen. Der Garten sieht aus, wie Leas Tante Margret ihn erschuf. Ein riesiger Kirschbaum bildet sein Zentrum, um den herum sich kleinere Apfelbäume und drei Pfirsichbäume verteilen. Es gibt zwei Bienenvölker, Schmetterlingsflieder und Physalis, Stockrosen und eine runde Kräuterschnecke, auf der wir Salbei und Basilikum bestimmen. Wir spannen unsere Seelen wie Hängematten zwischen den Obstbäumen auf und lassen sie baumeln, unsere Smartphones benutzen wir nur noch um damit Fotos von den Blumen zu schießen und wir pflücken Call-Me-by-your-Name-mäßig Pfirsiche.

Naturberauscht packen wir unsere Sachen und fahren zum See. Zum Glück hatten wir einen Sekt über nacht im Tiefkühlfach gelagert, während der Autofahrt taut die Flasche langsam auf und als wir am See ankommen ist der Sekt wieder flüssig und gut temperiert. Wir trinken Sekt und essen Gebi Kuchen und Lea probiert ihre neuen Schwimmflossen aus. Qulitätscheck: Sehr gut. Ich mache beeindruckende Kopfsprünge und Salti vom Badesteg und wir schwimmen so weit auf den See hinaus, dass ich gerne wieder umkehren möchte. (Später am Abend hat mein Tageshoroskop (Vogue.de) mich angehalten, mich doch mal ein bisschen mehr zu bewegen. Also physisch, nicht nur geistig. Wenn ich das früher gewusst hätte, wäre ich durch den ganzen See geschwommen.)

Nach dem Schwimmen haben wir Hunger und beschließen, eine Gurkenwanderung anzutreten. Hungrig suchen wir das Ufer ab, bis wir einige Gurken pflücken, die unseren Hunger stillen.

Die Gurken stärken uns und unser Blut die Stechmücken. So ist das Leben in der Natur: Ein Geben und Nehmen. Dann verlaufen wir uns (die Pfade der Natur sind eben unergründlich) und brechen unsere Wanderung ab. Wir fahren durch die Abendsonne nach Hause, nach Neukarlshof.
Als es dunkel wird, machen wir mit unseren bloßen Händen ein Feuer hinten auf dem Feld. Unsere körperlichen Instinkte wissen wie das geht, sie haben überhand genommen. Praktischer Weise finden wir einen Kassenzettel, der den Anzündungsprozess ein wenig beschleunigt. Wir essen, was der Garten uns schenkt und trinken Champagner, den wir uns selbst schenken.


Hier öffnet Lea ihren Gebi Champagner.


Hier machen wir Stockbrot aus dem Getreide, zwischen dem wir saßen.

Hier ist eine Nackschnecke dabei in unseren Salat zu klettern. Herzlich Wilkommen.


Gebi Dinner!


Gebi Dinner Foto mit meiner Handtasche als Vollmond mit im Bild.

Berauscht schlafen wir irgedwann um das Feuer herum gekuschelt ein, nachdem wir Gute-Nacht-Küsse an die Nacktschnecken und Falter verteilt haben. Als uns kalt wird, bedecken wir uns mit Stroh und Mondlicht.

Am nächsten Morgen frühstücken wir auf unserem Feld, wie immer. Die Tiere erkennen uns schon und jemand fährt mit seinem Trecker vorbei und fragt freundlich ob wir mal aufspringen wollen. Außerdem fragt er uns warum wir rauchen, ob wir nichts besseres zu tun hätten. Haben wir nicht, noch was besseres können wir uns nicht vorstellen.

Dann fahren wir zurück nach Berlin. Unseren Urlaub sieht man uns an, wir sind erholt und voller Natur. Erst im Flixtrain zurück in mein anderes zu Hause kickt die Realität. Trotzdem werde ich noch länger von unserem Urlaub zehren, während dem Lea ein Jahr älter geworden ist.
Qualitätscheck Wochenentrip: 11/10!

  1. Ein Amuse-Gueule (auch Amuse Gueule) (wörtl. Freude des Mauls, gemeint ist ‚Gaumenfreude‘; franz. ausgesprochen: [amyz ˈgœl]), vor allem in vornehmen Restaurants auch Amuse-Bouche ‚Mundfreude‘ genannt, ist ein appetitanregendes, kleines und somit mundgerechtes Häppchen, das häufig als Geste des Hauses ungefragt und vor der kalten Vorspeise im Rahmen eines Menüs serviert wird, meist als Beilage zu einem Aperitif oder Cocktail. ↩︎

Eine Antwort zu „Wochenendurlaub”.

  1. Insgesamt ein überzeugender Text. Manchmal hat sich die Lesende gefragt, was hier Reality ist und was postfaktisch, aber anscheinend fällt eh alles unter literarische Freiheit. Auch die Zeichensetzung. Daher: großes Amusement gehabt, wünsche weiterhin viel Glück damit!

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